Wie die Klage des
flügellosen Vogels Mensch in die Welt kam
Beginnen wir mit der
Geschichte des flügellosen Vogels Mensch irgendwo. Es könnte am
Anfang sein, ebenso wie am Ende, denn damals gab es keine Zeit. Zeit
ist eine Erfindung.
Wir beginnen also einfach
irgendwo.
Und dieses Irgendwo
beginnt genau da, wo alles Suchen aufhört.
Jetzt, genau hier. Denn
solange Suchen da ist, ist das Jetzt nicht zu finden. Das Jetzt
versteckt sich nämlich geschickt vor Allen die da suchen.
Also, hört einfach auf
damit, hört und seid still, ganz still.
Werdet zu Hörenden, damit
ihr die Geschichte empfangen könnet. Damit ihr Gott empfangen könnt.
Nada Brahma - Gott ist Klang.
Nada Brahma
In der Unendlichkeit des
Klangs lebt ein Vogelwesen. Sein Körper ist aus gewebtem Licht,
seine riesigen Schwingen schillern in den Farben des Regenbogens. In
seinen leeren Augen spiegeln sich Himmel und Erde. Denn nichts
anderes gibt es, nur Himmel und Erde, oben und unten. Kein daneben,
kein dahinter und kein davor.
Nur oben und unten.
Eingebettet in Klängen.
In diesen Klängen tanzte
der Vogel und schwang sich empor in den unendlichen Raum. Und da es
keine Zeit gab, war das Vogelwesen immer gleichzeitig überall. Über
All. Sein Lichtkörper breitete sich aus, seine regenbogenfarbenen
Flügel schillerten grenzenlos.
Nichts anderes war
notwendig als Tanz und Klang. Daraus bestand die ganze Welt. Tanz und
Klang, Himmel und Erde.
Ja, und noch etwas
Wundersames geschah. Aus Tanz und Klang wurde ein Kind der Liebe
geboren. Und dieses Kind hatte einen Namen. Es hieß Gebet und sein
Körper war ein Gewebe aus Liebe und Dankbarkeit. Und so kam das
Bewusstsein in die Welt.
Gebet ist die höchste
Form davon.
Ja, dieses lichte
Vogelwesen hatte Bewusstsein und daraus entstand Liebe und
Dankbarkeit, ganz von allein.
1 + 1 = 3
Das war die einzige
mathematische Formel, die es in dieser Welt gab:
1 + 1 = 3
Tanz und Klang = Gebet
1 + 1 = 3
Dann passierte etwas
Neues. Etwas das das Gleichgewicht von All-Eins-Sein empfindlich
durcheinander brachte. Obwohl es nur eine winzig klitzekleine Feder
war, die sich aus dem Lichtkleid des Vogelwesens löste und sanft zur
Erde schwebte, veränderte sich auf einmal alles. Denn damit hatte
die Zeit begonnen. Das Vogelwesen unterbrach sich in seinem Tanz und
blickte erstaunt der nieder schwebenden Feder nach. Einen Augenblick
nur empfand er diese winzig kleine Feder als getrennt von sich und
die Zeit hatte begonnen zu existieren. Es gab plötzlich ein Vorher
und ein Nachher. Der Vogel bemerkte diese Veränderung natürlich und
er begann darüber nachzudenken. Und genau da, als er anfing
nachzudenken hörte der Klang auf und sein Menschsein begann. Er war
ein Vogelmensch geworden.
Dieser Zustand war ihm
sehr unbekannt und erschreckte ihn zutiefst. Und so kam die Angst in
die Welt. Der Vogelmensch wollte das Vorher unbedingt zurückhaben
und er machte sich zur Aufgabe, die Feder zu suchen. Er wollte die
Feder wiederhaben, damit der Urzustand wieder hergestellt würde. Und
so kam auch die Hoffnung in die Welt.
Der Vogelmensch begann auf
der Welt umherzuirren und zu suchen. Nun gab es nicht nur unten und
oben, jetzt gab es auch links und rechts, vorne und hinten und noch
viele andere Möglichkeiten. Und je mehr er suchte, desto mehr
Möglichkeiten gab es.
Bei seinem Suchen und
Umherirren geschah es, dass er mehr und mehr Federn aus seinem
regenbogenfarbenen Gewand verlor. Alle Federn versammelten sich in
dem Zwischenraum zwischen Himmel und Erde zu einem Regenbogen. Eine
bunter Brückenbogen entstand, der an den Klang einer zeitlosen Zeit
erinnert, an das was der Mensch wirklich ist, ein unendliches Wesen
aus Licht.
Der Vogel Mensch war sehr
schwer geworden vom vielen Suchen, schwer von Gedanken und
Vorstellungen und er wurde unglücklich. Unglücklich, weil er vergaß
sich zu erinnern, wer er wirklich war. Sehnsucht und tiefe
Traurigkeit treiben ihn seitdem auf Erden ziellos umher. Und er
beginnt sein Klagelied anzustimmen, weil er den Klang der
Unendlichkeit vergaß. Und immer noch verliert er Federn, im Samsara,
dem Weltenrad der Zeit.
Immer wenn ich eine Feder
finde, hebe ich sie auf, gehe damit zum Regenbogen und singe und
tanze, denn 1 + 1 = 3.
Und während ich tanze und
singe, entdecke ich diese Zeitlosigkeit in mir, ganz tief in meinem
Herzen. Ganz still kauert sie da und lächelt mich an.
Das ist die ganze wahre
Geschichte.
Sie kann nicht verstanden
werden.
Suprya Gina